Sonnabend, den 16,. Decembcr.

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Gin Familiengeheimniß.

Erzählung von Ernst Willkomm.

(Fortsetzung,)

August Brand sah ungewöhnlich blaß und angegriffen aus. Er griff unruhig bald nach der einen, bald nach der andern Zei­tung, schlug ein Blatt dann .um,, las aber offenbar nicht, und legte sie daun wieder aus der Hand.

Was kann dein Menschen zugestoße» sein ? dachte Onno, trat selbst geräuschvoll an den Zeitungstisch uud machte den Fähnrich dadurch auffehcn.

Hier also trifft man Sic, Herr von Straßberg !" ries er aus, die eben erfaßte:Zeitung wieder fortlegend nüd den Arm des Re­giments-Auditeurs erfassend. Sein bleiches Gesicht erhielt wieder etwas Farbe, seine Blicke mir irrten ruhelos van einem Gegen­stände zum ander», und seine Hand war feucht und zitterte.

Süchte,»' Sie mich?" fragte Onno den Jüngling Mit großer: TheilnahMe.

In Ihrer Wohnung. Ich wußte nicht, daß Sie um diese- Sliindk den Club zu frequentiren pflegten."

Man trifft mich auch nur bann um diese Zeit hier, wenn wichtige Geschäfte mich dazu »öthigeu."

Sie belieben zu scherze», Herr von Straßberg."

Zufällig nicht. Ich habe hier wirklich ein Geschäft abzu- inacbeu."

Dann können' Sie mir wohl kein Gehör schenken? Mich trieb es ebenfalls in einer überaus wichtigen Angelegenheit z» Ihnen."

Onno blickte dm Fähnrich forschend an. Das Auge des JnuglingS war trübi und düster. Um. den gesenkten Mund legte sich der Zug eines tiefen verhaltenen Schmerzes.

Gewiß bin ich für Sie, wie für Jede», der eine freund­schaftliche Frage: an: mich z» richte» wünscht, an diesem Orte zu sprechen," versetzte er.Kommen Sie mit in jenes Cabinet. Wir sind dort ganz allein."

,,Unter vier Augen," sprach der Fähnrich.So wünsch' ich es; eins mehr wäre schon Ueberflnß."

In diesem Augenblicke trat Doktor am Ende in's Lesezimmer. Er gewahrte sogleich den Regimeuts-Aiiditenr und blieb hart an der Thür stehen, offenbar unentschivffen, ob er bleibe» oder wie­der umkehren sollte.

Srraßbcrg wartete den Entschluß des AczteS nicht ab. Mit den Worte»:Gehe» Sie. Ich bin in einigen Minuten wieder bet Ihnen !" eilte er dem Doctor entgegen, welcher, als er sah, daß ein Ausweichen nicht denkbar war, mit lächelndem Munde den RegimentS-Auditciir begrüßte.

Brandchlickte Onno finster nach, biß die Zähne fest auf ein­ander, wie er des bekannte» Arztes ansichtig ward, und trat dann in das menschenleere Cabinet.

Endlich wird man Ihrer habhaft!" rief Onno von Straß­berg dem Doctor am Ende entgegen, eine» heiteren Ton anschla­gend.Wie kommt es, daß Sie sich nirgends'mehr sehen lassen? Grassiren. denn in diesem Herbste mehr Krankbeiten, als gcwöhn- iich um diese Jahreszeit? Oder darf ich Ihnen gratuUren?"

Mir? Wozu?" fragte der Arzt.

Bitte, Doctor. verstellen Sie sich nicht ! Man kennt Ihre Finten! . . . Auch sehe ich keinen Grund, wcßhalb Sie mir ver­bergen wollen, was doch schon die halbe Stadt weiß,"

Von mir?" sagte der Doctor mit ungekünsteltem Erstaunen. Habe ich vielleicht, ohne es zu wissen, de» Haupttreffer i» der Lotterie bekommen? Oder ist irgend ein großmüthiger Naöob ans den sinnigen Einfall gerathen, mich für meine erworbenen

und noch zu erwerbenden Verdienste zum Erben ftiner Willihncn zu ernennen?"

Scherz bei Seite, Doctvr, ich glaube wahrhaftig, Sie treiben unerlaubte Geheimiiißkrämerei-" fuhr Onno etwas ernster fort.'. Man stattet nicht allabendlich Besuche im Jrrenhause ab, wenn man daselbst nichts zu, thun hat."

Wer sagt das?" fuhr Doctos am Ende ärgerlich- heraus,, indem er seinen Stock in die- Ecke stellte und nach seiner goldenen Dose suchte.

Die Gesellschaft . . - die vornehme Welt. . . Civilisten und MiUtärpersonen in buyter Mischung."

..Es ist. . . man thut Unrecht, so in's Blaue hinein über die Wege eines vielbeschäftigten Arztes zu urtheilm," entgegnet? der Doctor stotternd.Warum soll ich nicht im Jrrmhaase Kn- und ausgehen? Kann ich nicht' zur Beobachtung eines Kranken von dem Direktor der Anstalt gerufen-worden sei»»?"

Oder für das Unterkommen eines neuen. Kranken daselbst Vorkehrungen treffen? Nicht wahr, Doctor, das wäre ebenfalls möglich,"'

Das Gestcht des Arges verzog flK zu MM geheinmißvolkMi Lächeln,, während er den ersten Blick des Regiments-ÄnditcurS ruhig aushieft:

Ohne Zweifel haben Gie bereits-Kenntnis eine längere Unterredung mit Gtästn Wottzßheim und. deren CM?: sin? hatte," fuhr Ostno von Gtraßberg etwas zögernd fM- Wgß- ich von Beiden erfuhr, hat mich überrascht, aber nicht befriedigt"

Weshalb nicht?" fragte trocken der Doctor.

Die Erzählung der Fra» Gräfin hat allerlei Bedenken in mir erweckt."

Die ich vielleicht beseitige» soll?"

Wenn auch das nicht, so wären Sie doch jedenfalls der ein­zige Mann, welcher gewisse Lücken, die ich in der Erzähjung M entdecken glaube, ausfiillkii könnte. Die uäßere Lebcnsgeschichte deS Grafe» Ottfrico von EbyldSheim ist Ihne» gewiß bekannt."

Ja, soweit man einem gewiegten Diplomaten glauben darf», kenne ich des Grasen Lebenslauf allerdings. Wozu aber soll diese Frage?" > , - ,

ES ist eine Vermuthung in mir ausgestiegen, die ich Ihnen mittheilen zu müssen glaube. Fräulein Leontine, des Grafen Nichte, stammt ohne Zweifel von einer »ichtdeutschen Mutter ab."

Im GeEntbeil," fiel Doctor am Ende ein,ihr Vater war der M-rrchesc Aldobrandim, welcher die ungewöhnlich schöne Schwester des Grafen, deren Bekanntschaft er auf einem Balle des damals als Gesandten am toscanischen Hofe in Florenz resi- direndcn Eboidsheim machte, als Gattin heimführtc."

(Fortsetzung folgt.)

Zur Sittcngpfchichtc von Paris.

Wer an dem Vorhandensein der socialen Ungeheuerlichkeiten zwei­felt, welche Herr B. Sardou in seinemFamilie Benviton" dem Pu­blikum vorführt, der konnte sich in einer der letzten Sitzmrgen der sechsten Kammer deS Znchtpolizeigerichts zu Paris dgvon üherzeugen, daß die Welt auf den Brettern trotz aller anscheinenden Uebertreibung mir ein geschwächter Abdruck des Treibens in der Wirklichkeit ist

Ein üher viele Millionen gebietender Unternehmer öffentlicher Ar­beiten, Herr Deshxonsses, verklagt die berühmte Schönheit Madmoifelle Charlotte, seinen minderjährigen Sohn in ihre Netze gelockt und zum Schüldenmachen rc. verleitet zu haben.

Wirklich, hat de.p , junge Herr , der das'väterliche Hänß .verlassen, innerhalb kaust eines Äahres ungefähr 200,llOO Francs zu Ehren der schönen Dame, durchgehracht. ,

Der Vater setzte viel Geld in Bewegzzüg, um ftjncn Gprößling