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Sonnabend, den 7. Januar.

1865 .

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Die unsichtbare Gcistermustk.

Ein Graudenzer Eerlebniß von Ludwig Walesrode.

(Fortsetzung.)^

So weit rmsere topograpische Rundschau, die binnen zehn Minuten bequem erledigt war.

Sonderbar, daß sämmtliche Menschenkinder, deren ich innerhalb dieses enggeschloffenen Raumes ansichtig wurde, ohne Gnade und Unter­schied den Eindruck von Gefangenen auf mich machten. Ich nehme selbst die Offiziere der Besatzung nicht aus und einige in der Allee promenirende Offizierdamen. Wie ich später erfuhr, kamen diese sich selbst so vor; die Abberufung vom Festungskommando wurde von den Offizieren und deren Familien als eine Befreiung aus dienstlicher Ge- fangentschaft begrüßt. Freilich den untröstlichen Eindruck inachte auf mich ein unter militärischer Eskorte, zu zwei nnd zwei gereiht, eben an uns vorübergeführter Zug von Baugefangenen, die mit betäubendem Kettengerassel ihr Marschtempo unheimlich akkompagnirten.

Es giebt nichts Häßlicheres, als die Uniform eines königl. preußi­schen Baugefangenen, die in grellem Farbenzwiespalt von Nath zu Nath zwischen Kanariengelb und Dunkelgrau wechselt. Ein solcher Bauge- fangeuer gleicht auS der Ferne einem wandelnden österreichischen Schil­derhause. Dazu kommt noch die nur einen kurzen Schritt gestattende schwere Kette, welche beide Beine mittelst eines oberhalb der Knöchel geschmiedeten Eisenreifens znsammenkoppelt; bei einigen ausgezeichneten Individuen zum Ueberfluß eine schwere,um den Hals genietete eiserne Kravatte, von welcher zwei weit geschweifte eiserne Hörner sich über den Kopf Hinausstrecken. Mir fiel bei dem Anblicke dieser Un­glücklichen unwillkürlich die Ritterthat Don Quixote's ein, der mit Hülfe seines Schildknappen die an ihm vorübcrgeführten Galeerensklaven be­freite und freilich wenig Dank dafür' erndtete. Früher habe ich herz­lich über diesen chevaleresken Narrenstreich gelacht, heute kam mir derselbe mehr menschlich als närrisch vor. Im Grunde macht daS Mitleid Don Quixote aus uns Allen, es fehlt uns nur der

Muth, es dem edlen Hidalgo von der Mancha gleich zu thun.-

Mancher der Baugefangenen mochte an der theilnehmenden Aufmerksam­keit, mit der ich sie betrachtete, den Neuling auf der Festung oder den Fuchs," wie der akademische Ausdruck lautet, angesehen haben. Sie grüßten mich, die Mütze ziehen, wie Jemanden, den sic noch öfter hier zu sehen hofften. Wahrsckeinlich galt ich ihnen für ein künftiges Eh­renmitglied ihrer geschlossenen Gesellschaft.

Nachdem ich so gehörig über die Aeußerlichkeiten meines künftigen Aufenhaltsortes orientirt war und meine beiden Freunde mit dem Ver­sprechen, mich bald und recht oft oben zu besuchen, sich verabschiedet

hatten ein Versprechen, das sie ehrlich gehalten, verfügte ich

mich zum Platzmajor Hauptmann N., um mich zum Antritt meines Arrestes zu melden. Dieser ty.eilte mir mit, daß ich schon seit drei Tagen erwartet worden und daß Alles für mich in Bereitschaft sei; zu­nächst aber muffe er mich auf die Kommandantur begleite um mich der Excelleuz" dem Generalleutnant v. Dedenroth vorznstellcn.- Es erweckte in mir ein günstiges Vorurtheil, daß ich auf dem Arbeitstische des Kommandanten Humboldt'sKosmos" liegen sah und der bald eintretende General selbst hatte Nichts in seiner Erscheinung, um diese vorgefaßte Meinung zu zerstören. Sein Gesicht, wie die ganze Haltung hatten etwas Humanes. Er begrüßte mich mit allen Formen wohl- thnender Höflichkeit und selbst die unter den obwaltenden iBerhältniffen allerdings eigenthümliche Aeußerung:Es freut mich Sie hierzu sehen!" war durchaus gut gemeint. Es wurde mir gleich klar, daß die außer­gewöhnliche Kasematten-Verfngung, von der man mir in der Stadt Graudenz erzählt hatte, nur in irrigen Voraussetzungen, welche die Berichte des Generalkommando über mich bei dem Kommandanten er­fechten oder in einem direkten Befehle von Königsberg her ihren Grund haben könnte; eine Ansicht, in der mich die Aeußerung des Komman- ''dapten bestärkte, erhübe dafür Sorge getragen, daß mir eine recht gesunde Kasematte' auf der Sonnenseite der Festung eingeräümt worden; offen­bar sollte ich in der Maßregel keine außergewöhnliche verletzende Strenge erblicken.

Der Platzmajor wurde beordert, mich nach dem mir (bestimmten Gefängnisse zu führen. Auf dem Wege dahin engagirte derselbe zu meiner Bedienung einen alten Invaliden, den er sofort anwies, einige Kloben vomGarnisonholz" zur voläufigen Heizung meiner Käsematte herbeizuholen ; -- da ich nämlich auf die Alimentation der Staatsge­fangenen, 5 Tthlr. per Monat, Verzicht geleistet hatte, so warsich auch verpflichtet, für Feuerung selbst zu sorgen. Mein Gefängniß befand sich über dem Wachtlvkale am Niederthore. Obwohl es Heller Mit­tag war, mußte der wachthabende Unteroffizier Licht anzünden, um uns hinaufzuleuchten. Eine mächtige mit eisernen Ueberwürfen und Vor- legeschlössern verwahrte Eichenthür, im Hintergründe der Wachtstube, führte über eine stockdunkle Treppe in eine Art von Vorzimmer, dessen Wände und Decke mit einem glanzenden Schwarz bekleidet waren, das sich bei näherer Untersuchung als lang verjährter, schön krhstallisirter Ofenruß darstellte.

Dieses Vorzimmer war eigentlich ein Rauchfang. Abermals klirr­ten Schlösser und Riegel, abermals kreischte eine schwere Eichenthür in ihren Angeln, wir standen in der Kasematte. Dieselbe war ein bombenfestes, rundbogiges Gewölbe, wohl SO Fuß lang und etwa 12 Fuß breit. Der langgestreckte sargartige Raum mit seinem frischen, blendenden Kalkanwurf erinnerte mich an das übertunchte Grab der Schrift. Das Licht fiel durch eine schießschartenartige Mauerlücke herein, die nach innen mit dicken eisernen Traillen, sogenanntenschwe­dischen Gardinen," versichert war. Mein Arm reichte nur mit knap­per Noth durch die Mauervertiefung an die niedrigen Fensterflügel mit den kleinen blinden Scheiben. Ein Paar Eisenringc an der Wand deuteten darauf hin, daß manche der früheren Insassen dieser Kase­matte an der Kette gelegen haben müssen. An der Hinterwand in der Nähe der Thüre befand sich ein neuer riesiger Lehmofen, nach Art derer, wie sie in polnischen Dorfscheuken Vorkommen man merkte es ihm an, daß er sich Wohl nie mit etwas Anderem als schmaler Gefängnißkost befaßt hatte. Die vom Staate gelieferten Möbel von verzweifelt schlichtem Aussehen bestanden auS einem hölzernen Schemel und einem leeren Bettgestell; jedoch war es denFestungsstiibengefan- genen," wie die Staatsgefangenen zweiter Klaffe, zu denen ich gehörte, genannt wurden, freigestellt, sich einige Komforts ans eigenen Mitteln anzuschaffen.

Außerdem werden die Gefangenen dieser Kategorie nicht eingesperrt; der Platzmajor übergab mir vielmehr sämmtliche Schlüssel, die zu mei­ner Kasematte gehörten. Am angenehmsten war mir, zu hören, daß ich täglich sechs Freistunden, von 912 und von 25 Uhr, hätte,

- in denen ich Besuche empfangen und innerhalb der Umwallung zwischen dein Ober- und Niederthor promeniren dürfe. Was ich sonst noch reglementsmäßig zu thun und zu lassen hätte, würde ich aus den ge­drucktenInstruktionen," die mir im Laufe des Tages zugestellt wer­den sollten, durch Selbststudium erfahren.

Während der Platzmajor mich so in meiner Neuen Wohnung instal- lirte, stand der zu meiner Bedienung angenommene Invalide, der sechs mächtige Kloben Eichenholz herbeigeschafft hatte, mit respektvoll ange­zogenen Armen im Hintergründe. Aber kaum war der Platzmajor fort, als der alte Möbe, so hieß der Invalide, ungemein beredt wurde. Er mußte mir vom Gesichte abgelesen haben, daß mir die eben bezo­gene unfreiwillige Iuiiggesellen-Wohnnng durchaus nicht behagte, denn er knüpfte seine Worte unmittelbar an diesen Gedanken an.

Dat is ja niederträchtig," sagte er, dat solche Herrens, wie Sie, -Herr Leutnant, über dem Niederthor wohnen sollen; dat is ja gotts­erbärmlich. Sie sein ja kein Mörder oder so wat. Die anderen Herren Staatsgefangenen wohnen alle da unten am Obernthor und viel besser, und zum Donnerwetter, Herr Leutnant, da gehören Sie auch hin!"

Möbe, der ein sonderbares, zwischen Platt und Hoch schwankendes Deutsch sprach, titulirte mich in einem fortHerr Leutnant," wie der italienische Kameriere oder Facchino jeden wohlgekleideten Fremden, von dein er ein Trinkgeld erwartet, mitExcellenza" anredet. Ich will gerade nicht behaupten, daß ich durch diese unverdiente Titulatur son­derlich bestochen wurde, aber Möbe gefiel mir. Er trug diePflaume," wie die ans Kanonenmetall geprägte Medaille der Feldzüge von 1813 bis 15 genannt wird, auf der linken Brust seiner Invalidenkutka;